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Reden und Aufsätze
27.05.2004
Plenarrede von Lothar Mark zum Antrag "Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik" (Drs. 15/3205)
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,


 


morgen treffen sich in Guadalajara / Mexiko zum dritten Mal die Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas, der Karibik und der Europäischen Union. Erstmalig werden die zehn Repräsentanten der neuen Beitrittsländer der EU dabei und somit insgesamt 58 Staaten vertreten sein.


 


Wenn man sich vor Augen hält, dass damit über ein Viertel der Staaten der Welt an diesem intensiven Prozess teilnimmt, ist dies allein schon als Erfolg zu werten: Mit keiner anderen Weltregion außerhalb Europas und der Gruppe hoch entwickelter Industrieländer unterhält die EU einen derart umfassenden Dialog. Die Gipfeltreffen sind somit ein in dieser Art einzigartiges biregionales Forum, welches den traditionell engen, auf einer Wertegemeinschaft basierenden Beziehungen zu den Ländern Lateinamerikas und der Karibik Ausdruck verleiht.


 


Unter den Leitthemen „Effektiver Multilateralismus“ und „soziale Kohäsion“ soll die auf dem ersten Gipfel 1999 in Rio de Janeiro ins Leben gerufene Strategische Partnerschaft zwischen beiden Regionen weiter ausgebaut werden.


 
Lateinamerika / Karibik ist für Europa keine prioritäre Region. Der Fall des Eisernen Vorhangs und das Ende des Kalten Kriegs haben einschneidende Veränderungen mit sich gebracht, die sich natürlich auf die Außenbeziehungen Deutschlands bzw. der EU ausgewirkt haben: Die Öffnung Europas nach Osten und die konsequente Hinwendung zu den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes haben vermehrt Ressourcen gebunden. Auch die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre haben bewirkt, dass wir verstärkt gen Osten, als über den Südatlantik geblickt haben.

Dies spiegelt sich in den Wirtschaftsbeziehungen deutlicher wider als in anderen Bereichen: Bis 1989 gingen zwei Drittel aller deutschen Direktinvestitionen außerhalb der G 7 - Länder nach Lateinamerika, heute sind es weniger als ein Drittel. Wenngleich in Lateinamerika ein gewisses Verständnis für diese Prozesse vorhanden ist, so wachsen doch die Erwartungen gerade in Anbetracht der Strategischen Partnerschaft erneut.

Mit dem vorliegenden Antrag sprechen sich die Koalitionsfraktionen dafür aus, das enorme Potenzial einer intensivierten Zusammenarbeit mit der Region Lateinamerika / Karibik auszuschöpfen. Die Voraussetzungen dafür sind denkbar günstig: Zu keiner anderen Weltregion unterhält Deutschland ein derart enges und vielfältiges Beziehungsgeflecht unterhalb der staatlichen Ebene, wie z.B. über die Parteien, Kirchen oder Nichtregierungsorga-nisationen.

Auf dem letzten Gipfeltreffen in Madrid 2002 haben die Teilnehmer vereinbart, den politischen Dialog auf staatlicher Ebene zu intensivieren. So sollen die europäischen und lateinamerikanischen Positionen vor internationalen Konferenzen künftig besser abgestimmt werden. Wenn dies in den letzten zwei Jahren auch noch nicht zur Zufriedenheit geschah, so sind doch Europa und Lateinamerika im Vorfeld und im Verlauf des Irak-Kriegs wieder enger zusammen gerückt. Dies gilt insbesondere für das „alte Europa“, das für Lateinamerika ein zunehmend attraktiver Partner wird. Es steht für ein Wertesystem, das sich von dem der USA unterscheidet, nämlich durch eine stärkere Akzentuierung von Dialogförderung, einem starken internationalen Recht, Wandel durch Engagement oder friedlicher Konfliktbeilegung und Krisenprävention.

Zusammen machen die beiden Regionen einen beachtlichen Stimmenanteil in der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus, fast 30 %. Daraus ergibt sich ein nicht zu unterschätzendes Gestaltungspotenzial für eine künftige friedlichere und sozial gerechtere globale Ordnung. Lateinamerika und Europa müssen hier unserer Meinung nach noch aktiver als mäßigende und konstruktive Kräfte in Erscheinung treten. Beide haben z.B. die gleiche Auffassung über die Notwendigkeit eines starken Multilateralismus, wie er ja deshalb auch als eines der Leitthemen für den Gipfel gewählt wurde. Wir befürworten eine internationale Rechtsordnung, die in dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Strafgerichtshof institutionalisiert ist. Wir haben ähnliche Vorstellungen von einer Reform der Vereinten Nationen und ihrer zukünftigen Rolle. Unserer Auffassung nach müssen Europäer und Lateinamerikaner dieses politische Pfund noch mehr in die Waagschale werfen.

Bei all den angeführten Argumenten lässt sich aber auch nicht übersehen, dass die Erwartungen an die strategische Partnerschaft auf beiden Seiten des Atlantik nicht einheitlich sind. Dies lässt sich kaum besser aufzeigen als anhand des zweiten gewählten Leitthemas „soziale Kohäsion“:

Die europäische Seite möchte diese Thematik vorwiegend vor dem Hintergrund eines biregionalen politischen Dialogs um ‚gute Regierungsführung’ und Stärkung der staatlichen Institutionen verstanden wissen. Dieser soll dazu beitragen, die Korruption zu bekämpfen, die lateinamerikanischen Eliten auf das Gemeinwohl zu verpflichten und somit die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten am Wohlstand zu gewährleisten.

Die lateinamerikanische Seite möchte diesen Begriff der ‚sozialen Kohäsion’ aber auch im Zusammenhang mit verstärktem Handel mit und Investitionen aus Europa ausgelegt sehen. Das damit einhergehende Wirtschaftswachstum und die folgenden Beschäftigungsimpulse werden als eigentliche Voraussetzung für soziale Entwicklung und Armutsbekämpfung angesehen. In den vergangenen Monaten, insbesondere seit dem Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Cancún und der Bildung der G-20 unter der Führung Brasiliens ist deutlich geworden, dass die lateinamerikanischen Partner nun beginnen, das einzufordern, was ihrer Ansicht nach auch eine strategische Partnerschaft ausmacht: nämlich privilegierte Handelsbeziehungen und Marktzugänge.

Beide Seiten argumentieren nachvollziehbar. Wir Europäer müssen uns in der Tat fragen, ob wir die diesbezüglichen Forderungen aus Lateinamerika ernst genug nehmen. So geben wir einerseits Anreize dazu, dass die Volkswirtschaften der lateinamerikanischen und karibischen Länder sich industrialisieren. Andererseits aber schotten wir unsere Märkte mit umso höheren Zolltarifen ab, je höher die Verarbeitungsstufe eines Produktes ist. Auf diese Weise wird Deutschland zu einem der größten Produzenten gerösteten Kaffees, ohne überhaupt nur eine Kaffeebohne anzubauen. Die lateinamerikanischen Länder werden aber auf die Rolle der Rohstoffproduzenten festgelegt.

Wir haben daher in unserem Antrag die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die nach wie vor bestehenden Marktzugangsbeschränkungen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Lateinamerikas schnellstmöglich über die WTO-Vereinbarungen hinausgehend abgebaut werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass nun -nach acht Jahren zäher Verhandlungen- das Assoziationsabkommen mit dem Mercosur bis zum kommenden Oktober einen für alle zufrieden stellenden Abschluss findet. Dieses Abkommen ist für beide Seiten von strategischer Bedeutung: Mercosur ist der mit Abstand wichtigste Partner der EU in Lateinamerika. Die Hälfte ihres gesamten Warenaustausches mit dieser Region wickelt die Europäische Union mit den Mercosur-Mitgliedstaaten ab; dorthin fließen zudem etwa 60 % der europäischen Direktinvestitionen in Lateinamerika. Für Mercosur entfällt rund ein Viertel seines Gesamthandels auf die EU. Noch – ist man geneigt zu sagen, wenn man sich den rasanten Aufschwung des lateinamerikanischen Handels mit Fernost, insbesondere mit China, vergegenwärtigt. Im Zeitraum 2002 bis 2003 konnte der Mercosur seine Exporte nach China beispielsweise um 96,5 % steigern. Allein Brasilien exportierte in 2003 für 4,5 Mrd. USD Waren dorthin, was China zum zweitwichtigsten Abnehmer werden lässt.

Ein Assoziierungsabkommen zwischen Mercosur und der EU ist also mehr als überfällig. Bisher waren die Verhandlungen am Interessenkonflikt im Agrarsektor gescheitert, in den ca. 50 % der Mercosur-Exporte fallen. Wir alle wissen um die Reformbedürftigkeit der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik. Erste Schritte wurden in diesem Jahr eingeleitet. Umso weniger ist es für mich nachvollziehbar, dass ein Abkommen, welches von eminenter Wichtigkeit für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ist, womöglich zu Gunsten eines wirtschaftlich vergleichsweise unbedeutenden Sektors geopfert wird.

In diesem Zusammenhang haben wir uns im Antrag auch dafür ausgesprochen, zügig Verhandlungen über Assoziierungsabkommen mit der Andenregion und den Ländern Zentralamerikas in Aussicht zu stellen. Auf diese Weise können die Integrationsprozesse in diesen Regionen beschleunigt und ihre Einbindung in die Weltwirtschaft vorangetrieben werden. Gleichzeitig wird der deutschen und europäischen Wirtschaft ein verlässlicher Rahmen geboten, in dem sie ermuntert wird, sich noch stärker in Lateinamerika zu engagieren.

Denn meiner festen Überzeugung nach ist wirtschaftlicher Austausch die beste Hilfe zur Entwicklung und kann einen großen Anteil zur Armutsbekämpfung beitragen. In den vergangenen Jahren ist die Entwicklungsschere in der Region weiter auseinander gegangen. Noch immer ist Lateinamerika die Region mit der ungerechtesten Einkommensverteilung der Welt. Dies hat einerseits ganz sicher mit dem Versagen der Verteilungsmechanismen zu tun. Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang auch eine in vielen Ländern überfällige Landreform. Andererseits muss man aber auch sehen, dass dort, wo wenig zu verteilen ist, wenig Spielraum für soziale Akzente bleibt. Viele Staaten der Region sitzen tief in der Schuldenfalle: Sie wenden teilweise bis zu 40 % ihres Haushalts auf, um ihren Rückzahlungsverpflichtungen nachzukommen. In Brasilien machten 2003 die Zinszahlungen allein auf Auslandsverbindlichkeiten eine Summe aus, die 60 % der Exporterlöse entsprach. Die öffentliche Verschuldung gemessen am BIP betrug hier 58,2 %. Gerade die internationalen Finanzinstitutionen fordern von diesen Staaten aber eine strenge Sparpolitik, so dass wenige Ressourcen für Bildung und Forschung, Sozialpolitik und Infrastruktur übrig bleiben.

Angesichts der Tatsache, dass im vergangenen Jahr mehr als 40 % der Lateinamerikaner unterhalb der Armutsgrenze lebten, also mit etwa zwei USD am Tag auskommen mussten, ist es m. E. haarsträubend, dass wir z. B. jedes europäische Rind mit über zwei USD am Tag subventionieren. Diese Vergleiche, von denen sich unzählige anstellen ließen, machen deutlich, dass auch wir unsere Strukturreformen entschlossener angehen müssen.

Lassen Sie mich also nochmals auf das zweite Leitthema „soziale Kohäsion“ zurück kommen: Wenn als Ergebnis des morgigen Gipfels die lateinamerikanischen Staaten ihre politische Verantwortung akzeptieren und noch größere Anstrengungen als bisher zugunsten einer Lösung der sozialen Probleme und zum Erreichen von sozialer Kohäsion unternehmen, und wenn wir Europäer diese Anstrengungen nicht nur durch politischen Dialog, Erfahrungsaustausch und verstärkte Entwicklungszusammenarbeit, sondern darüber hinaus auch durch unseren notwendigen Beitrag zu gerechteren Handelsbeziehungen zwischen unseren beiden Regionen leisten wollen, dann haben wir die strategische Partnerschaft entscheidend belebt.

Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag daher auf, durch wirtschafts-, handels-, finanz- und entwicklungspolitische Weichenstellungen -auch innerhalb der EU- viel versprechende Ansätze demokratischer und sozial ausgerichteter Regierungsführung in Lateinamerika zu fördern. Sind diese erfolgreich, so wirken sie Modell bildend für die gesamte Region. Dies scheint umso nötiger, als zahlreiche Staaten derzeit eine tief greifende Krise ihrer politischen Institutionen erleben und populistische, autoritäre Führer verstärkt Zulauf finden. Wie eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms jüngst feststellte, würden 55 % der Befragten ein autoritäres Regime anstelle einer demokratisch gewählten Regierung unterstützen, wenn dieses ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen würde.Auch für Lateinamerika gilt, dass die regionale Integration ein Weg hin zu Frieden, politischer Stabilität, wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand ist. Deshalb sollte die EU die Integrationsprozesse in Lateinamerika nach Kräften fördern. Kein Integrationsansatz verspricht derzeit so viel Erfolg wie der Mercosur, der sich stark am europäischen Vorbild orientiert. Seit den Regierungswechseln in Brasilien und Argentinien hat sich im Mercosur eine neue Dynamik entfaltet, die auf eine Vertiefung und Erweiterung der Wirtschaftsgemeinschaft abzielt. Brasilien mit der immer noch hohen Glaubwürdigkeit seines Präsidenten Lula da Silva wird immer mehr zum Gravitationszentrum Lateinamerikas. Diese Entwicklung verdient die besondere Sympathie und Unterstützung Europas.


 


Lassen Sie mich abschließend noch ein Thema ansprechen, das im Vorfeld zum Gipfel hohe Wellen geschlagen hat. Die geplante Einstellung des spanischsprachigen TV-Programms der Deutschen Welle halte ich vor dem Hintergrund der geschilderten Notwendigkeit, die Beziehungen zu Lateinamerika zu intensivieren, für absolut fatal und kontraproduktiv. Es würde eine wichtige Brücke zwischen Deutschland, Europa und über 330 Millionen spanisch sprachigen Lateinamerikanern abbrechen. Das Bekanntwerden der Streichpläne hat bereits großen Schaden angerichtet. Ich hoffe sehr, dass es der Leitung des Senders und dem Rundfunkrat gelingt, andere Einsparpotenziale zu heben, um die Fortführung des Programms zu gewährleisten. Ich werde weiterhin für den Erhalt des spanisch sprachigen DW-TV Programms kämpfen.


 


Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den vorgetragenen Gründen um Zustimmung für unseren Antrag.


 


 


Hier finden Sie den Antrag



 

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